Bessere Schulbedingungen – für die Lehrer
Schon seit langem stehen die Bedingungen an unseren Schulen zur Debatte. Unsere Schüler schnitten plötzlich in internationalen Vergleichen relativ schlecht ab. Also musste etwas getan werden.
Erste tolle Idee: Reformieren wir die Rechtschreibung! Prima Idee! Mit einem Schlag war alles, was man in Bücherregalen stehen hatte und was man in Büchereien auslieh falsch geschrieben. Das motiviert natürlich. Und wenn selbst die Eltern unsicher sind, wie man nun was schreibt, dann kann es ja nicht so schlimm sein, wenn man die Deutscharbeit vermurkst.
Zu allem Überfluss stritt man dann hierzulande auch noch lange Zeit und reformierte noch einige Male nach.
Nächste tolle Reform: Verkürzung der Zeit bis zum Abitur. Genau! Tempo verbessert zwar nicht die Qualität, aber man hat eine Erklärung dafür, wenn es nicht so gut läuft. Wenn das Kind kaum noch Zeit für Freizeit hat, dann konzentriert es sich besser auf das Wesentliche.
Das fröhliche Experimentieren brachte so einige Neuerungen. An ein und derselben Schule konnte es vorkommen, dass Erst- und Zweitklässler hier in einem Klassenverband zusammengefasst wurden und gleichzeitig eine Kontrollgruppe nach dem alten Prinzip unterrichtet wurde. Die erste Fremdsprache wurde jedes Jahr früher angesetzt, spielerisch und ohne klaren Plan, so dass die Kinder nach der Grundschulzeit alle mit den unterschiedlichsten Kenntnissen zur nächsten Schule wechseln. Außerdem mussten viele Grundschullehrer/innen erst einmal Englischkurse absolvieren, um überhaupt in der Lage zu sein, so zu tun, als beherrschten sie die Sprache.
Das alles bedeutet natürlich sehr viel Stress für die Lehrerschaft und sie sehnen sich nach einem eigenen Rückzugsbereich. Das nennt sich „Fachraumprinzip“ und das geht so:
Jeder Lehrer und jede Lehrerin bekommt einen eigenen Raum. In diesem Raum kann er/sie gestalten und walten und sich nach Herzenslust einrichten. Natürlich kann man nun schlecht an jeder Schule für jeden Lehrer ein Büro anbauen und es wäre ja auch eine Zumutung, wenn der Lehrer/die Lehrerin dann doch nur in der Fünfminutenpause in diesem Raum verweilen könnte und dann wieder durchs Schulgebäude in die nächste Klasse hetzen muss.
Aber das geniale Prinzip sieht anders aus: Jeder Klassenraum wird nun einfach zum Einzel-Lehrerzimmer umfunktioniert und nicht der Lehrer hetzt von Raum zu Raum, sondern die Schüler.
Das hat natürlich enorm viele Vorteile für die Schüler. Sie haben jetzt Fachräume für jedes Fach! Sie brauchen sich nie mehr Sorgen um ihren Schulranzen zu machen, da sie den immer bei sich tragen, selbst in der Pause! Im Internet finden sich so einige Erklärungen, warum das alles viel besser ist.
Zuerst einmal gibt es dieses Prinzip ja schon lange in USA, Niederlande, Polen und Schweden. Und da sieht man: „Anderer Unterricht ist nicht nur möglich, sondern findet auch statt.“ Da können die Kinder jetzt auf einmal auch selbständig und problemlösend arbeiten. Überhaupt ist plötzlich alles viel besser umsetzbar. Alles ist sauber und ordentlich, „weil Erwachsene sich für ihren Raum zuständig fühlen“. Darum sind jetzt auch bessere Materialien verfügbar, weil die Lehrer/innen jetzt gerne selbst was mitbringen. Der Raum wird jetzt fachspezifisch ausgestaltet, die Lehrer/innen sind viel besser drauf und die Schüler wissen immer, wo sie zu finden sind und es gibt keine Randale mehr in den Fünfminutenpausen – zumindest nicht in der Klasse. Stattdessen bringt die „zusätzliche Bewegung“ eine konzentrationsfördernde Wirkung mit sich.
Die Kritiken an diesem System sind vollkommen ungerechtfertigt. Nein, es gibt kein Chaos in den Fluren, im Gegenteil: Unfälle, Zerstörungen und Diebstähle gehen zurück! Der schwere Schulranzen wird ganz von alleine leichter und die Schüler haben mehr „Heimat“ als je zuvor.
Wenn man sich bei den Erklärungsversuchen der diversen Schulen im Internet durchhangelt, findet man noch weitere Vorteile. So sind die Unterrichtsmaterialien bei diesem Prinzip nicht nur stets verfügbar, sondern auch noch funktionstüchtig! Nicht nur die Motivation der Lehrkräfte wird gesteigert, sondern auch ihre Kompetenz!
Angesichts all dieser merkwürdigen bis bizarren Erklärungsversuche klingt dann folgender Satz weitaus ehrlicher: Die Realschule Kösching ist das neue Prinzip unter dem Motto „Aus der Not eine Tugend machen“ mit Überzeugung angegangen.
Dort bestand nämlich das Problem, dass es gar nicht genug Räume für alle Klassen gab. Durch die Ausnutzung des Fachraumprinzips mit entsprechender Stundenplanung konnte dieses Problem anscheinend gelöst werden.
Nur selten wird dieser wirtschaftliche Nutzen angesprochen. Noch seltener die Probleme, die sich sonst noch ergeben. Die Kinder müssen ja nicht nur den Ranzen ständig überall hin mitnehmen, sondern auch ihre Jacken, Schals und Mützen. Fast jede Schule, die dieses Prinzip einführt, erklärt zu dieser Schlepperei gleich, dass Schließfächer eingeführt werden oder werden könnten. Den Mietvertrag bekommen die Eltern dann gleich mit den Informationen überreicht.
Handelt es sich hier nun um eine sinnvolle Reform zum Nutzen der Schüler? Angesichts der Erklärungsversuche kommen Zweifel auf. Eine Lehrerin, die jüngst von durchweg positiven Umfragen sowohl bei Lehrern als auch bei Schülern sprach, war nicht in der Lage, auch nur einen positiven Aspekt für die Schüler zu nennen. Tatsächlich war ihr einziges Argument, dass sie nun nicht mehr von Klassenraum zu Klassenraum rennen und dort durch meterhohen Müll waten müsse.
Ganz niedlich auch die Auflistung der Vorteile einer Schule: Das Fachraumprinzip bringt mehr Fachräume!
wildalf am 11. Juni 10
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